Inhalt:
1. Brief von Prof. Kiesow (Deutsche Stiftung Denkmalschutz) an Oberbürgermeister Prof. Würzner vom 22.07.2010
zum Erhalt der Stadthalle: über diesen Link abrufbar.
2. Anmerkungen zu Raumwirkung und Ästhetik des Großen Saals der Stadthalle
Anmerkungen zu Raumwirkung und Ästhetik
des großen Saals der Stadthalle
Zum Umbauplan Waechter & Waechter: Bühne zur Mitte hin verschoben, Sitzplätze auch hinter der Bühne
Die architektonische Qualität eines Raumes ist nicht unwesentlich davon bestimmt, welcher Zielpunkt dem Auge durch die Raumgestaltung geboten wird.
Hat ein Saal quaderförmige Struktur (rechteckigen Grundriss), wie dies insbesondere bei Konzertsälen nach dem „Schuhschachtel-Prinzip“ (Länge = Breite + Höhe) der Fall ist, so ist Flucht- und Ruhepunkt für das Auge die Bühne und der Bühnenprospekt. Berühmte Beispiele sind der Große Musikvereinssaal in Wien (1870), das Concertgebouw in Amsterdam (1888), die Stadthalle Wuppertal (1900) oder das Konzerthaus Dortmund (2002). Bei den genannten Sälen ist jeweils der Bühnenhintergrund, auf den sich das Auge richtet, die Orgel.
Der Raum ist perspektivisch zielgerichtet.
Durch die Raumgeometrie in Verbindung mit Säulen, Pilastern, Stuckverzierungen usw. wird bei vielen dieser Säle der Klang optimal gestreut.
Großer Musikvereinssaal in Wien
Stadthalle Wuppertal
Die Raumwirkung bei Konzertsälen nach dem „Weinberg-Prinzip“, bei dem das Podium inmitten des Publikums positioniert ist, ist grundlegend anders: das Auge schweift zunächst umher und findet schließlich Ruhe in der Mitte, der Bühne, so z.B. beim Großen Saal oder beim Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie (1963), der Philharmonie de Paris (2015) oder der Elbphilharmonie (2016). Die Räume sind zentriert.
Bei der vielschichtigeren Raumgeometrie der nach dem „Weinberg-Prinzip“ gebauten Säle ist die Mitwirkung von Raumakustikern ganz entscheidend (man geht bei Konzertsälen für einen guten Klang von einem Nachhall von 1,5 bis 2 Sekunden aus; bei zu kurzem Nachhall wirkt der Raum „tot“)
Berliner Philharmonie (1963), Konzertsaal
Der große Saal der Heidelberger Stadthalle hat rechteckigen Grundriss, die quaderförmige Ausgangsform wird durch die gewölbte Decke und geschwungene Formen aufgelockert. Die Korrespondenz von Länge, Breite und Höhe ist anders als beim Schuhschachtel-Prinzip – die Länge ist im Verhältnis geringer -, doch ist auch hier wie in Wien, Amsterdam oder Dortmund der Saal auf Bühne und Orgel ausgerichtet. Durch die geplante (sehr begrüßenswerte) Entfernung der nachträglich eingezogenen Bühnenrückwand würde diese Perspektive noch augenfälliger, die Orgel noch mehr zum optischen Zielpunkt.
Stadthalle Heidelberg, Großer Saal
Die Planvariante von Waechter & Waechter, die die Bühne etwas in die Mitte rückt und hinter der Bühne zur Orgel hin Stuhlreihen vorsieht, verunklart die grundlegende Raumkonzeption des großen Saals: Rechteck – Eindeutige Zielrichtung, Führung des Auges zu Bühne und Orgel. Eine solche Raumplanungsvariante ist „nicht Fisch und nicht Fleisch“: das Konzept schwankt zwischen den oben genannten Grundformen. Die Bühne ist etwas in die Mitte gerückt, aber keine Mittelbühne, der Raum ist also nicht zentriert.
Nach der wohlbegründeten Grundsatzentscheidung, keine „Weinberg-Form“ anzustreben, sondern die historische Rechteck-Form beizubehalten, bleibt der Saal grundsätzlich weiterhin auf die Orgel ausgerichtet. Ihr wird jedoch bei dieser Planungsvariante optisch das Fundament, die Bühne, mit der sie bisher eine Einheit bildete, entzogen. Die eindeutige Zielrichtung wird gebrochen, das Auge irrt hin und her.
Zudem entstünden bei dieser Variante viele Plätze mit direkter Schalleinwirkung ohne genügend Nachhall.
(Auch) aus ästhetischen Gründen, von der Raumwirkung her, ist diese Planvariante also problematisch. Der besondere Charakter des Raumes sollte nicht so einschneidend gestört werden.
Martin Kölle (18.04.2018)